• Mit dem Begriff des Plagiats findet Wilhelm Raabe in “Gutmanns Reisen” eine Chiffre für seine Praxis unhintergehbarer Intertextualität. Angesichts einer durch starke Vorgänger und eine stetig anwachsende ‘Literaturgeschichte’ fraglich gewordenen Kategorie des Neuen behauptet Raabe eine paradoxe Autorschaft originärer Sekundarität, die darin besteht, dass Material, das gleichermaßen aus Trivial- und sogenannter Höhenkammliteratur stammt, kreativ anverwandelt wird. Ob in Titel, Motto, Dank, Widmung, den Erzählanfängen oder im Fortgang der Erzählung: Poetischer Plagiarismus in “Gutmanns Reisen” zeichnet sich durch die Selbstbeobachtung des für Raabes Erzählen typischen Spiels mit manifester und kryptischer Zitation aus. Dabei stellt Raabe das dem poetischen Plagiarismus zugrundeliegende Prinzip der nichtidentischen Wiederholung auf der generischen, narrativen und sprachlichen Ebene des Textes eigens an der Textoberfläche aus. In markierten Fehllektüren entleert der poetische Plagiator Vorgängertexte durch Trivialisierung und korrigiert diese zum Eigenen, wobei das fremde Material der ‘Druckpapierwüste’ in seinem Textraum zirkuliert und die Erzählung so buchstäblich zum ‘runden Haus der Kunst’ wird. Mit der in “Gutmanns Reisen” selbstreferentiell bedachten Textpraxis gibt sich Raabe gleichsam als ‘poetischer Plagiator’ im Sinne eines poetischen Plagiarismus und sein Schreiben als poetische Meisterdieberei zu lesen.